Eselstadt Hardegsen
Unter dieser Bezeichnung ist Hardegsen bereits seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Anhand der Steuerlisten betrug die Zahl der in Hardegsen damals lebenden Esel etwa 30-35. Diese Tiere gehörten den ärmeren Einwohner*innen der Stadt, die ihre Felder auf den damals nicht bewaldeten Bergen ringsum Hardegsens hatten. Für diese bearbeiteten sie die kargen Äcker, brachten den Stalldung als Dünger hinauf und die wenige Ernte in die Häuser der Besitzer.
Da die Tiere am Tage zur Arbeit genutzt wurden, konnten sie nicht mit den Viehherden der Stadt ausgetrieben werden und wurden am Abend auf der Weide gelassen, wo sie sich aber sehr oft auch das Beste aus den Gärten und von den Feldern der Bürger holten und so für viel Verdruss sorgten. Man versuchte dies zu unterbinden, in dem man den Nachtwächter die Ställe kontrollieren ließ, er wirkte praktisch als eine Art "Esel-Kontrolleur".
Auch für die Arbeit im Wald wurden die Tiere eingesetzt. Es gab dafür ein in Hardegsen gebräuchliches Maß, dass in den Kämmerei-Rechnungen als "Eselholz" angegeben wird und sich über eine Woche erstreckt. Dabei handelt es sich um die Menge Holz, die 6 Esel auf einem dafür gebauten Tragegestell aus dem Wald tragen konnten, wenn sie am Tage zweimal diese Aufgabe erledigten. Für die damit geholte Menge Holz mussten der Stadt 24 Mariengroschen entrichtet werden. Für diesen Holztransport wurden aber nur solche Forstorte zugelassen, die man mit einem Fuhrwerk nicht erreichen konnte.
Im 19. Jahrhundert ergab sich für die Eselhalter eine neue Erwerbsquelle und für die Esel eine neue Arbeit. Nach damaliger Sitte wurden die gescheuerten Dielen in den Bürgerhäusern mit weißen Sand bestreut. Dieser Sand wurde in den Sandgruben des Sollings gefördert und mit Säcken auf einem besonderen Tragegestell in die Städte des Leinetals gebracht und dort verkauft. Man spricht jetzt auch nicht mehr von Eseltreibern sondern von Sandhändlern.
Auch für Kriegsdienste wurden die Hardegser Esel eingesetzt, so im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) und in der Zeit Napoleons. Aus diesen Zeiten haben sich in Hardegsen viele Anekdoten erhalten, mit denen die heutigen Hardegser Bürger*innen aber gut leben können. Dies war in früheren Jahren nicht immer der Fall: wer als "Hardegser Esel" bezeichnet wurde, sah dies als Beleidigung an. Auch das Verwechseln des Stadtwappens mit dem Sachsenross, das bereits aus dem 16. Jahrhundert stammt, wurde von den Hardegsern als Beleidigung aufgefasst. Das man seinen Frieden mit den Anspielungen auf die Eselstadt gemacht hatte zeigte sich, als auf Initiative des Verschönerungsvereins 1939 auf dem Lindenplatz ein Stadtbrunnen errichtet wurde, der an der Steinsäule mit dem Stadtwappen versehen wurde.
Von den Hardegser Einwohnern wurde der Brunnen gut angenommen und war sofort als "Eselsbrunnen" bekannt. 1983, als die Stadt die 600jährige Verleihung der Stadtrechte feierte, wurde die Brunnensäule mit einem Esel mit einem Sandfuhrmann gekrönt. Der Eselsbrunnen wurde im Jahr 2021 im Zuge der Innenstadtsanierung „Vor dem Tore“ mitsamt des Platzes, der auch als „Lindenplatz“ bekannt ist, saniert.
Übrigens: Ein "echter" Hardegser spricht immer von "Esels". Schließlich heißt es auch Eselsgrund, Eselsbrunnen. Orthografisch vielleicht nicht ganz in Ordnung, aber Hardegser Sitte.
Die Idee zu der Aufstellung der jetzt im Stadtbild stehenden Esel stammt von den Hardegser Gewerbetreibenden. Anlässlich einer Gewerbeausstellung, die "E.S.E.L. - Eine Stadt Erbringt Leistung" genannt wurde, erinnerte man sich an die Grautiere, die in Hardegsen lange gelebt haben und heute noch im Tierpark leben. Übrigens ist dort eine „Eselschule“ geplant, bei der man Eselführerscheine für Eselwanderungen auf den historischen Eselpfaden rund um Hardegsen erlangen kann – eine zeitgemäße Form der Teambildung und zugleich ein Stück Hardegser Heimatgeschichte!
Seit der Gewerbeausstellung finden alljährlich, zumeist am letzten Sonntag im April in Hardegsen die beliebten „Esel(s)märkte“ statt, die von der GSH. Der Gemeinschaft Selbständiger Hardegsens mit Unterstützung der Stadt Hardegsen organisiert werden.
Schließlich finden die Besucher*innen in Hardegsen künstlerisch gestaltet Eselfiguren des Kunstprojekts „EselART“, die als Eselroute miteinander verbunden sind und auch als Tischmodelle zum Selbstbemalen erworben werden können. So kann jeder seinen individuellen Hardegser Esel gestalten und ihm einen würdigen Platz einräumen.